Was haben Geschirrspüler und psychologische Flexibilität gemeinsam?

Veröffentlicht am 8. November 2025 um 23:17

«… und dann hat er – oder sie – den Geschirrspüler wieder falsch eingeräumt. Schon hundertmal habe ich gesagt, dass die Gläser nicht sauber werden, wenn unten auch noch die Pfannen stehen. Und schon war der nächste Streit im Gang.»

 

Wenn Kleinigkeiten gross werden
In Beziehungen entzünden sich Spannungen oft an kleinen Dingen. Hinter dem Streit über Pfannen oder Fernbedienungen steckt meist die Frage, wie elastisch wir im Miteinander geblieben sind – und ob wir lernen können, flexibel zu bleiben, ohne uns zu verlieren

Solche Geschirrspüler-Dramen sind in vielen Beziehungen Alltag. Bagatellen werden zu Minenfeldern, kleine Funken lösen Flächenbrände aus. Wir gehen auf Distanz – und statt der ersehnten Nähe spüren wir nur Leere. Die nächsten Diskussionen, wer schon wieder die Fernbedienung verlegt hat oder sich bitte um das Abschiedsgeschenk der Lehrerin des Kleinsten kümmern müsste, helfen dann auch nicht weiter.

Die alte Leier: Wer muss sich ändern?
Was beschäftigt Menschen am meisten? Welche Konflikte kehren immer wieder?
Diese Fragen stellte ich mir kürzlich, als ich Muster im zwischenmenschlichen Miteinander zu erkennen versuchte. Ob im Beruf, in Freundschaften oder im eigenen Alltag – vieles dreht sich um dasselbe: Wir nerven uns an den Angewohnheiten der anderen. Die kleinen und grösseren Macken ertragen wir je länger, je weniger. Und wenn er oder sie sich nur endlich ändern würde, wäre alles in Butter.

Das Problem liegt also nicht bei mir – sondern beim Anderen.
Nur: Wie bringen wir den Anderen dazu, es endlich einzusehen?
Wie «erzwingen» wir Veränderung?

Zwischen Härte und Nachgiebigkeit
Früher hätte ich wahrscheinlich weitergezickt. Heute versuche ich, so gut es eben geht, mich etwas zu zügeln. Nicht alles persönlich zu nehmen. Die Pfannen sind kein Angriff in meine Richtung. Und dass ich die Fernbedienung immer wieder verlege, ist schliesslich ein offenes Geheimnis in unserem Haushalt.

Oft höre ich den Einwand, dass man ja nicht immer alles nur «schlucken» könne – man müsse sich doch auch wehren, damit nicht alles bei einem selbst hängen bleibt. Da ist was dran. Studien zeigen, dass ständiger Rückzug Konflikte nicht löst, sondern oft neue Frustration weckt. Andere Forschungen belegen, dass impulsive Vergeltung selten wirkliche Nähe schafft. Der Weg dazwischen – eine Art innere Beweglichkeit – bleibt wenig erforscht. Doch genau das interessiert mich. Vielleicht braucht es dafür etwas, das man als inneres Gelenk bezeichnen könnte – etwas, das beweglich bleibt.

Das innere Gelenk
Ein vergleichsweise neuer Ansatz, der explizit den Begriff «Elasticity» in der psychologischen Resilienzforschung nutzt, ist das sogenannte Psychological Immunity – Psychological Elasticity (PI-PE)-Modell. Es unterscheidet zwischen psychischer Immunität (Stabilität, Widerstandskraft) und psychischer Elastizität (der Fähigkeit, sich zu verändern, anzupassen, neu zu strukturieren). Oft wird das unter Resilienz gefasst (to bounce back).

Doch Menschen kehren selten ganz zurück. Wir nehmen die Erfahrung auf, verändern uns – und finden eine neue Form. Etwas, das ich innere Elastizität nenne, das Sich-Verändern, ohne zu verhärten.

Alles hat ein Preisschild
Ich meine, dass wir gerade in Konflikten gefordert sind, es weniger mit Härte, sondern mehr mit Elastizität zu versuchen. Das ist in der Tat eine Kunst, die uns einiges abverlangt. Je nach Charaktertyp neigen wir zum Alles (zurückschlagen) oder zum Nichts (vermeiden). Ich plädiere für einen Weg dazwischen. Er kostet die Überwindung spontaner Impulse – im Interesse eines liebevollen Miteinanders. Vielleicht ist das, was wir Selbstbeherrschung nennen, etwas Lebendigeres: eine Elastizität, die auch dann bestehen bleibt, wenn sie gefordert wird.

Was heisst das nun für unser Beispiel mit dem Geschirrspüler und der Fernbedienung?
Mein alter Supervisor pflegte zu sagen: «Alles hat ein Preisschild.»

Er meinte damit, dass alle unsere Handlungen Konsequenzen haben. Man kann die schmutzigen Pfannen stehen lassen. Das kann einen Lernprozess anstossen – vorausgesetzt, man hat die Geduld, sie nicht vorschnell wegzuräumen. Oder man wird sich bewusst, dass der andere dafür aushält, dass man selbst immer die Fernbedienung verlegt (und de facto also auch eigene Macken hat) – und lebt dafür in Frieden mit den Ecken und Kanten des Gegenübers.

Wie auch immer man sich entscheidet: Es bedeutet vor allem, den Anderen nicht verändern zu wollen, sondern Veränderungen bei sich selbst vorzunehmen. Das kann durchaus zu Veränderungen beim Gegenüber führen – doch genau diese Veränderung sollte nie Ziel der Handlung sein. Sonst sitzen wir wieder in der alten Falle und bewegen uns schneller zurück auf Feld Eins, als uns lieb ist. Der Teufelskreis beginnt von Neuem, die alte Leier wiederholt sich einmal mehr.

Die innere Freiheit
Nennen wir solche Situationen Lernfelder, die uns innere Entwicklung ermöglichen. Nutzen wir sie und nähern uns Schritt für Schritt einer leisen Freiheit - jener, die bleibt, wenn wir elastisch bleiben.

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