Belohnung im Kopf – warum wir zu Schokolade greifen, wenn die Welt zu viel wird

Veröffentlicht am 20. Mai 2024 um 16:20
Text Eat what makes you happy

Kürzlich sprach ich mit einer jungen Frau in meiner Praxis über die Angewohnheit, sich mit Essen zu belohnen. Sie sagte, sie würde ihr eigenes Belohnungssystem am liebsten in die Sommerferien schicken – in der Hoffnung, weniger Lust auf Leckereien zu haben und ein paar überflüssige Kilos zu verlieren. Ich verstehe gut, was sie damit ausdrücken wollte. Doch dieser Ansatz wird scheitern (man denke an die alljährlichen Neujahrsvorsätze) – und nur neuen Frust erzeugen.

Erfolgsversprechender ist es, den Automatismus „Essen = Wohlbefinden“ immer wieder bewusst zu unterbrechen. Und Alternativen zu finden, die ebenso wirksam sind.

 

Das Belohnungssystem will schnelle Lösungen

Bereits die Aussicht auf Belohnung lässt uns Glücksgefühle erleben – ein verlockender Zustand in einer oft hektischen Welt. Wir wissen: Essen wirkt. Her mit dem Käse, der Praline.  Schon die Erwartungshaltung auf Wohlbefinden aktiviert den Botenstoff Dopamin und damit unser Belohnungszentrum – der Neurobiologe Dirk Krämer spricht in diesem Zusammenhang sogar vom Motivationszentrum, das schnelle Wege zur Bedürfnisbefriedigung bevorzugt. Dopamin wird ausgeschüttet und das Ziel ist klar: möglichst schnell Wohlbefinden herstellen.

Wer zu Stresszeiten gern isst (vulgo: Comfort Eater), beruhigt sich effizient mit fett- und kohlenhydratreicher Nahrung. Dabei schüttet der Körper schon beim Gedanken an das Essen einen Hormoncocktail aus, der das Sättigungsgefühl überlagert. Die Folge: Wir spüren weniger, wann wir eigentlich genug haben.

Heute weiss man: Comfort Eater haben nicht einfach zu wenig Selbstkontrolle. Vielmehr sendet ihr Körper weniger starke Sättigungssignale – oder sie werden vom Glückshormoncocktail schlicht überstimmt. Die nachhaltige Wirkung bleibt dann nicht im Gefühl, sondern auf den Hüften. Und das Belohnungszentrum? Geht begeistert zurück auf Feld eins.

 

Was hilft?

🕵️‍♀️ Trigger erkennen

Mit etwas Sherlock-Spürsinn lassen sich individuelle Auslöser identifizieren. Das Wissen darum reduziert bereits die Anfälligkeit – und schafft Handlungsspielraum.

🧠 Stress verstehen

Der deutsche Adipositasforscher Achim Peters beschreibt in seiner Selfish Brain Theory, dass unser Gehirn sich in Stressphasen sehr „egoistisch“ verhalten kann, wenn es um Energieressourcen geht. Ein Teil der Bevölkerung isst unter psychischem Druck deutlich anders – und bleibt auch nach der Stressphase auf kohlehydratreiche Nahrung gepolt.

🔁 Routinen nutzen

Gute Gewohnheiten entlasten das Gehirn. Zvieri statt Abendheisshunger. Vorkochen statt Lieferdienst. Wer schon müde nach Hause kommt, hat kaum mehr Kraft für kluge Entscheidungen. Routinen nehmen uns das Grübeln ab – und machen gesunde Entscheidungen leichter verfügbar.

🧩 Selbstbild stimmig halten

Verhaltensänderung gelingt besser, wenn neue Gewohnheiten zum Selbstbild passen. Teamplayer:innen profitieren eher von Gruppensport als von einsamen Joggingrunden. Introvertierte fühlen sich im Volleyballclub womöglich fehl am Platz. Was zu mir passt, bleibt eher haften.

 

Essen und Emotion – ein tiefes Band

Dass Essen beruhigt, ist kein Zufall. Schon das Baby verbindet Nahrungsaufnahme mit Nähe, Geborgenheit und Zuwendung. Interessanterweise kommt die Kombination aus Fett und Kohlenhydraten in der Natur fast nur in der Muttermilch vor – das zeigte eine Studie von Di Feliceantonio und Kolleg:innen (2018), die die starke Belohnungswirkung dieser Kombination nachwies. Heute ist sie überall verfügbar – und der Körper findet das nach wie vor grossartig.

Darum lohnt es sich, nicht nur weniger davon im Haus zu haben, sondern auch anderes zur Verfügung zu stellen:

  • Würziges: Kimchi, Hüttenkäse mit Frühlingszwiebeln oder Zimt für die Süsse
  • Griffbereites Gemüse mit Hummus oder Quark-Dip
  • Proteinquellen: Skyr, hartgekochte Eier, proteinreiche Snacks
  • Tee und Bitterschokolade – die klassische, aber oft unterschätzte Wahl
  • Beeren, Nüsse, Hülsenfrüchte, grünes Gemüse, Avocado, dunkle Schokolade...

Diese Lebensmittel unterstützen das Wohlbefinden nachweislich – durch B-Vitamine, Omega-3-Fettsäuren, Tryptophan oder Lecithin. Es lohnt sich, auf sie zurückzugreifen – nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit der Lust auf etwas Gutes.

Essen ist mehr als Kalorienaufnahme. Es ist Erinnerung, Trost, Struktur, Kultur – und manchmal Ersatz. Wer das erkennt, gewinnt Freiheit: nicht durch Verbote, sondern durch Verständnis. Und ein wenig Vorausdenken.

 

💬 Hast du eigene Strategien, um Essverlangen zu begegnen – oder Fragen dazu? Ich freue mich über Kommentare oder Rückmeldungen.

 

Referenzen

1) Krämer. D. (2013). Schaltkreise der Motivation. Retrieved May 17, 2024

2) Peters, A. (2010). The Selfish Brain and the true causes of obesity. TEDxBerlin. Retrieved May 20, 2024

3) Di Feliceantonio, A.G. et al. (2018). Supra-Additive Effects of Combining Fat and Carbohydrate on Food Reward. DOI:https://doi.org/10.1016/j.cmet.2018.05.018 Retrieved May 17, 2024

 

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